Filme, weit mehr als Bücher, haben so eine Art zu verschwinden auf Nimmerwiedersehn, nicht bloß vom Markt,
sondern auch aus der Erinnerung. An manche aber denkt
man noch nach Jahrzehnten, und zu diesen seltenen Ausnahmen gehört für mich eine Ballade in schwarzweißen
Bildern von zwei Männern, die beide nicht recht wissen
wohin. Ich habe sie mir angeschaut in einem Münchner
Kino im Mai 1976 und bin danach, bewegt, wie man das
nach dergleichen Erlebnissen leicht ist, durch die laue
Nacht nachhause gewandert in meine Einzimmerwohnung im Olympiapark.
Bruno Winter, glaube ich, hieß der Mann in der Latzhose, der in der von Wim Wenders erzählten Geschichte
unterwegs war in der endlos langweiligen Gegend hinter
der Frontlinie der damaligen westlichen Welt. Von einem
mit Heraklitplatten verschandelten Ort sieht man ihn fahren zum andern. Seine Stationen sind Lichtspielhäuser, in
die fast niemand mehr kommt. Als Hommage an die Frühzeit des Kinos, in der das Publikum gebannt auf
die zitternden Streifen starrte, war das Leben Brunos am Rand
einer betriebsblind gewordenen Gesellschaft gemeint,
als Nachruf auf eine verschollene Form der Unterhaltung
und als Rückblick in die Jahre nach dem letzten Krieg,
während derer viele der entlegeneren Orte in der deutschen Provinz von ebensolchen reisenden
Kinounternehmen bespielt worden sind. Auch bei uns in W. am Nordrand der Alpen
konnte man allwöchentlich einmal die tönende Wochenschau im Engelwirtssaal sehen und Filme
wie Die Geheimagentin, Der Mann in Grau, Gilda oder
Geronimo, in denen Lauren Bacall, Rita Hayworth, Stuart
Granger, Chief Thundercloud und andere inzwischen un-
tergegangene Sterne über die Leinwand geisterten.
Doch nicht darum geht es hier, sondern um den zweiten Mann,
der am Anfang von Im Lauf der Zeit, als Bruno
sich gerade im Freien rasiert, vorsätzlich, wie man sogleich erkennen kann, mit einem Volkswagen in einen
Fluß hineinrast genau an der Stelle, an der Bruno geparkt
hat über Nacht. Bruno staunt nicht schlecht. Einen ewigen Augenblick lang segelt der Käfer durch die Luft, als
hätte er das Fliegen gelernt. In meiner Erinnerung sehe
ich ihn segeln noch heute. Robert Lander, der Mann am
Steuer, der auf diese spektakuläre Weise vom Erdboden
abhebt wie sein vom Regenschirm davongetragener Namensvetter
ist, soweit ich mich entsinne, Kinderarzt oder
Psychologe, und er und Bruno ziehen nach der von Wenders ohne Aufhebens präsentierten
unerhörten Begebenheit gemeinsam durch die hinteren Regionen ihres Vaterlands und
erleben dabei diverse Abenteuer, von denen mir
vor allem eine Motorradfahrt über eine leere Landstraße
noch gegenwärtig ist, eine sehr schöne, beinahe schwerelose Sequenz. Bruno lenkt, wenn mich nicht alles täuscht,
die Maschine; Robert sitzt im Beiwagen und hat eine Sonnenbrille auf, wie man sie früher bei der UV-Bestrahlung
tragen mußte. Aber um wirklich zur Sache zu kommen:
es ist dieser im Film über das geschwinde Fahren und
die wechselnden Licht- und Schattenflecke sich freuende
Robert (der sich in Wahrheit Hanns Zischler schreibt), von
dem uns jetzt ein Buch vorgelegt wurde, das von Franz
Kafka handelt und seinen nachweislichen und mutmaß-
lichen Beziehungen zu der seinerzeit noch ganz neuen
kinematografischen Kunst.
S. 193: Kafka im Kino
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