Sebaldusgrab
Ostchor St. Sebald/Nürnberg Die Ringe des Saturn S.107ff.
Wie auch immer, mein Namenspatron soll später in seiner Einsiedelei im Reichswald zwischen Regnitz und Pegnitz
noch viele Wunder getan und Kranke geheilt haben, ehe sein eigener Leichnam, wie er es vorherbestimmt hatte, von zwei braven Ochsen
auf einem Karren an den Ort gezogen wurde, an dem noch heute sein Grab sich befindet.
Jahrhunderte später, im Mai 1507, beschließt das Nürnberger Patriziat, durch den Rotschmied
Peter Vischer für den heiligen himelsfursten Sand Sebolten ein sarch von messing
machen zu lassen.
Im Juni 1519, nach Vollendung der zwölfjährigen Arbeit, wird das tonnenschwere, beinah
fünf Meter hohe, von zwölf Schnecken und vier geschwungenen Delphinen getragene, den gesamten
heilsgeschichtlichen Kosmos repräsentierende Monument im Chor der dem Stadtheiligen geweihten Kirche
aufgestellt.
Am Sockel des Grabmals drängen sich Faune, Seejungfern, Fabelwesen und Getier jedweder nur denkbaren Art um die weiblichen Kardinaltugenden Klugheit, Mäßigkeit, Gerechtigkeit und Tapferkeit. Darüber sind zu sehen Figuren aus der Sagenwelt - Nimrod der Jäger, Herkules mit der Keule, Simson mit dem Eselskopf und der Gott Apollo zwischen zwei Schwänen - nebst Darstellungen des Eiswunders, der Speisung der Hungernden und der Bekehrung eines Ketzers. Dann kommen die Apostel mit ihren Marterwerkzeugen und Wahrzeichen und zuoberst die dreigipflige Himmelsstadt mit ihren ungezählten Wohnungen, Jerusalem, die sehnlich erwartete Braut, die Hütte Gottes unter den Menschen, das Bild eines anderen, neu gewordenen Lebens. Und im Innersten des von achtzig Engeln umschwebten, in einem Guß gemachten Gehäuses ruhen in einem mit Silberblech beschlagenen Schrein die Gebeine des exemplarischen Toten und Vorläufers einer Zeit, in welcher uns die Tränen abgewischt werden von den Augen und in der weder Leid sein wird noch Schmerz oder Geschrei.
Sebaldus lebt im 8. Jahrhundert als Einsiedler in der Gegend von Nürnberg. Der Legende nach dänischer Königssohn, löst er seine Verlobung mit einer französischen Prinzessin, um nach einer Rompilgerfahrt in Franken zu wirken. Nach seinem Tod bringt ein Ochsengespann ohne Lenker den Leichnam zur Peterskapelle. Über seinem Grab wird im 13. Jahrhundert die Sebalduskirche errichtet. Sebald, 1425 durch Papst Martin V. heilig gesprochen, ist Stadtpatron der Stadt Nürnberg.
1499 ergeht in Nürnberg an Vischer der Auftrag zum Sebaldusgrab in St. Sebald und in Bamberg an Tilman Riemenschneider zum Kaisergrab im Dom - die beiden wichtigsten Tumbengräber Frankens um1500; Nürnberg - in Konkurrenz zu Bamberg und wirtschaftlich weitaus bedeutender - will Bamberg nicht nachstehen, Sebalds Grab soll das Monument in Bamberg übertreffen. Nürnbergs Metallindustrie ist sein Reichtum von europäischem Rang: Waffen, Harnische, Wehrzeug - und aus eben diesem Messingmaterial entsteht eines der aufwändigsten Werke der Rennaisancekunst für den Stadtheiligen: Peter Vischer erschafft von 1499 bis 1519 einen bronzenen Prunkschrein für seinen Sarg, einmaliges Denkmal humanistischen Gedankenguts.
Die Spitze des Werks ziert das Christuskind, auf den Türmen der Himmelsstadt Jerusalem die Propheten (oder Weise),
die die Apostelsäulen bekrönen, Ausdruck der concordiae veteris et novi testamenti.
Die zwölf Apostel nehmen den hl. Sebald gleichberechtigt auf Augenhöhe in ihren Kreis auf.
Am Sockel vier nackte bewaffnete Männer: Herkules (erkennbar am Fell des Nemëischen Löwen und der Keule), Simson (Eselskinnbacke und Löwe), Theseus und Nimrod, jeweils Helden aus der antik-heidnischen und jüdischen Sphäre, christliche Symbole? Die vier weiblichen Gestalten in der Mitte der Längs- und Schmalseiten verkörpern die Kardinaltugenden Gerechtigkeit, Mäßigkeit, Weisheit und Stärke, christliche Tugenden?
Schnecken symbolisieren das Laster der "Trägheit", "tragen" aber auch das Grab; auch die Lichtelweiblein sind Sünderinnen.
Weiter 12 nicht sicher identifizierte (außer Apollo und Jupiter) Darstellungen aus der Antike an den Sockeln, die Tierdarstellungen usw : Christliche Symbolik?
In zwei getrennten Phasen ensteht das Grabmal:
In einer ersten gemäß der Visierung auf rein christlicher Basis und unter Vorbild des Bamberger Grabs und in einer
zweiten, wo die Bildfindung des Monuments in einer zeitgenössischen literararischen Quelle wurzelt:
Die Histori Herculis von Pangratz Bernhaubt gen. Schwenter von 1515, Freund Peter Vischers des Jüngeren, im Wesentlichen eine Übersetzung der Epistola de virtutibus laude von Johannes Romming, dem Schulmeister der Sebalder Schule und des Herkules-Dramas, als Parallel-Geschichte zu Sebalds Leben und Taten.
Und:
In Goethes Wohnung stehen seit 1813
Gipsabgüsse der Sebaldusgrabfiguren, die er 1788
auf der Rückreise von Rom gesehen hat ...